HIV-Betroffene werden das letzte Kapitel der Krankheit schreiben

von Vuyiseka Dubula, Leiterin des Bereichs Community Rights and Gender beim Globalen Fonds

01 Dezember 2023

In den letzten 20 Jahren war die Bekämpfung von HIV von tiefgreifenden Veränderungen geprägt. Zur Jahrtausendwende standen hochwirksame antiretrovirale Therapien zur Verfügung – aber nur in reichen Ländern. Für Menschen in Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen – wie in meinem Heimatland Südafrika – kam ein positiver HIV-Test einem Todesurteil gleich. Die Verzweiflung, die damals herrschte, kenne ich aus eigener Erfahrung: Ich wurde 2001 positiv auf HIV getestet.

Zu dieser Zeit kamen Gruppen von HIV-infizierten Müttern zusammen, um „Erinnerungsbücher“ zu verfassen – Geschichtensammlungen, die ihren Kindern Halt geben konnten, wenn sie nicht mehr da sein würden. Darin wurden Familienstammbäume dargestellt und die letzten Wünsche von Eltern formuliert, die ihren Kindern Orientierung geben wollten, damit sie ihre Zukunft allein gestalten konnten.

Natürlich weigerte ich mich, tatenlos dazusitzen und auf den Tod zu warten. Gemeinsam mit Gruppen von Menschen mit HIV kämpfte ich. Wir gingen zusammen auf die Straße und brachten unsere Wünsche zum Ausdruck. Wir warfen den Regierungen Vernachlässigung und Pharmaunternehmen vor, Profite über das menschliche Wohl zu stellen. Wir forderten Gerechtigkeit und Behandlung für alle. Zu der Zeit kostete die lebensrettende antiretrovirale Therapie für eine Person fast 10.000 US-Dollar pro Jahr. Durch unseren Einsatz konnten wir eine drastische Senkung der Kosten für antiretrovirale Medikamente erreichen. Im Nu stiegen die Behandlungszahlen. Damals erhielten weniger als 50.000 Menschen in Afrika eine HIV-Behandlung, heute sind es über 20 Millionen.

Trotz aller Fortschritte bleibt HIV weiterhin eine große Bedrohung für die öffentliche Gesundheit. Die weltweite Erosion der Menschenrechte macht die Eindämmung der Krankheit noch schwieriger. In Afrika sterben noch immer jedes Jahr mehr als 600.000 Menschen an AIDS-bedingten Krankheiten – alles vermeidbare Todesfälle. Massive Ungerechtigkeiten in den einzelnen Ländern, aber auch im Ländervergleich sind ein Nährboden für das Virus. Gefährdete Schlüsselgruppen werden dadurch bei den Maßnahmen zur Bekämpfung von HIV besonders vernachlässigt. Im Jahr 2022 erhielten 29,8 Millionen Menschen weltweit eine lebensrettende antiretrovirale Therapie, aber noch immer werden fast 9,2 Millionen Menschen mit HIV weltweit nicht behandelt.

Und diese Herausforderungen bestehen auch bei anderen Infektionskrankheiten: Zwar gibt es inzwischen kürzere und besser verträgliche Therapieschemata gegen TB, aber wir haben noch viel Arbeit vor uns, damit diese Tabletten zu den Menschen gelangen, die sie am dringendsten brauchen. Oft spielen dabei die Kosten eine Rolle. Fairer Zugang zu TB-Diagnostika ist ebenfalls eine Herausforderung. Neue, lebensrettende Impfstoffe gegen Malaria sind jetzt erhältlich, aber für die Gruppen mit dem größten Bedarf bleiben sie unerreichbar.

Wir brauchen förderliche Rahmenbedingungen, so dass alle barrierefreien Zugang zu Gesundheitsleistungen haben. Vor uns liegt noch ein weiter Weg.

Damit HIV keine Bedrohung für die öffentliche Gesundheit mehr darstellt, müssen wir deutliche Lehren aus der Vergangenheit ziehen. In der Anfangsphase war es leicht, rasche Fortschritte bei der Eindämmung des Virus zu erzielen. Heute wird es immer schwieriger, das letzte Stück des Weges zurückzulegen und jeden Menschen mit HIV zu erreichen, der getestet und behandelt werden muss. Denn Strömungen, die sich gegen die Rechte der Homo-, Bi- und Transsexuellen und die Menschenrechte richten, forcieren die Stigmatisierung und Marginalisierung von Menschen, die in vulnerablen Kontexten leben. Wenn wir jedoch in der Lage sind, aus unseren Anfängen zu lernen, und den Gemeinschaften die unangefochtene Führungsrolle bei den Eindämmungsmaßnahmen überlassen, können wir die Oberhand gewinnen.

Wir können AIDS beenden – aber nur, wenn die von dem Virus betroffenen Gemeinschaften im Mittelpunkt unseres gesamten Handelns stehen. Das bringt Investitionen in die Instrumente mit sich, die sie brauchen, um Präventions- und Behandlungsprogramme für die am stärksten gefährdeten Gruppen zu entwickeln und umzusetzen. Es bedeutet auch, dass die Gemeinschaften die Verantwortung für die Entwicklung, Planung und Umsetzung von Programmen zur Bekämpfung des Virus übernehmen. Diese von den Gemeinschaften geleiteten Gegenmaßnahmen und die für ihre Nachhaltigkeit notwendige Infrastruktur erfordern Finanzmittel und andere Unterstützung.

Wir müssen weiterhin in Bereiche investieren, die mehr und bessere Chancen für die am stärksten gefährdeten Gruppen wie junge Frauen und Mädchen bieten. Wir müssen die Gemeinschaften stärker bei ihrem Einsatz zur Bekämpfung einer restriktiven Politik und Gesetzgebung unterstützen, die Schlüsselgruppen wie Sexarbeiter*innen, Männer, die Sex mit Männern haben, Trans- und Gender-diverse Menschen und Menschen, die Drogen konsumieren, kriminalisiert.

Vor allem muss sich die gesamte globale Gesundheitsgemeinschaft hinter diesen Einsatz stellen. Sie muss jedes HIV-Programm aus dem Blickwinkel der betroffenen Gemeinschaft betrachten und entschieden in diesen ganzheitlichen Ansatz investieren, damit die Gemeinschaften bei all unseren HIV-Programmen die Führungsrolle übernehmen können.

Dieser gemeinschaftszentrierte Ansatz kann zum Aufbau einer Bewegung beitragen, die nicht nur AIDS beendet, sondern die Welt auch auf die Bekämpfung zukünftiger Pandemien vorbereitet. Viele Mitglieder der Gemeinschaft, die vor 20 Jahren ihre letzten Worte formuliert haben, sind die Menschen, die heute die letzten Kapitel von HIV und anderen Infektionskrankheiten schreiben werden.

Dieser Gastbeitrag wurde zuerst in Aftonbladet veröffentlicht.